Syrisches Mädchen, Schülerin, Metalhead

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    Syrisches Mädchen, Schülerin, Metalhead

    Laya* (18) schreibt über die Metal-Szene des Mittleren Ostens und was es für sie bedeutet, ein Metalhead zu sein.

    Im Mittleren Osten galt Metal schon immer als etwas, das abseits des Mainstream liegt. Wer diese Musik hört, tut es meist heimlich oder gibt vor, “normale” Musik zu mögen.

    In Syrien ist es noch extremer, weil die Leute dort so vieles bekämpfen müssen: die traditionelle Kultur, die Gesellschaft, den Krieg. Konservativ gesinnte Menschen in Syrien, insbesondere in Aleppo, wo ich herkomme, halten Metal für satanistisch oder anti-islamisch. Sie behaupten, dass die Sänger dieser Musik schwul sind oder vom Teufel besessen, oder sie halten sie für ungebildet.

    Es gibt das Vorurteil, dass Metaller nichts anderes tun als sich zu betrinken und einen Haufen Drogen zu nehmen, was überhaupt nicht stimmt. Die Leute hören das Geschrei und meinen, es ist bloß eine Phase, aus der man wieder herauswächst.

    BU: Dieses Bild nahm Laya auf ihrem ersten Metal-Konzert in Berlin auf.

    Ich bin in Aleppo aufgewachsen, in einer sehr konservativen, religiösen Stadt.

    Mit acht Jahren habe ich angefangen, Metal zu hören. Mein Bruder spielte mir bekannte Bands wie Metallica, Evanescence, Linkin Park und System of a Down vor. Meine Mutter mochte es gar nicht, dass er seine Musik in meiner Gegenwart hörte, und schimpfte: “Mach diese Musik aus! Ich will nicht, dass sie auch so wird.”

    Mir gefiel die Musik sehr, doch als ich meinen Bruder bat, mir zu zeigen, wo man sie bekam, weigerte er sich und meinte, ich wäre noch zu jung dafür. Ich weiß noch, wie ich ihm immer heimlich über die Schulter schaute: “Wo hat er bloß die Musik her?” Ich erzählte ihm, dass ich ein Barbie-Spiel auf seinem Computer spielen wollte, nur damit ich mir diese ganzen tollen Bands anhören konnte. Natürlich erfuhr ich nach einer Weile, dass diese Art von Musik “METAL” genannt wird.

    Was mir an der Musik am meisten gefällt, ist, dass sie alle Themenbereiche des Lebens behandelt: Mobbing, Politik, Krieg, Trauer, Freude, psychische Krankheiten und so weiter. Ich glaube, dass die Sänger so wütend schreien, weil man ja kaum nett über den Krieg reden kann: “Hey, würdet ihr bitte aufhören, uns umzubringen…?” Die Texte sind oft tiefsinnig und bedeutungsvoll. Ich habe kein besonderes Lieblings-Genre im Metal, sondern mag alle Richtungen.

    Als Kind war Musik für mich die einzige Fluchtmöglichkeit, die Texte sprachen all das aus, was ich selbst nicht über die Lippen brachte. Als ich zehn Jahre alt war, wurde meiner Familie langsam klar, dass ich wirklich auf Metal stand, weil ich damals anfing, mich anders zu kleiden. Sie warnten mich, dass es mir noch leidtun würde, dass ich süchtig nach dieser Musik werden würde und nicht mehr aufhören könnte, sie zu hören. Ich fand ihre Reaktion ziemlich übertrieben. Einige druckten mir sogar Artikel aus, in denen es hieß, dass ich in die Hölle kommen würde und dass die Musiker wahnsinnig wären.

    Einige meiner Verwandten weigerten sich wegen meines Kleidungsstils, mit mir auf die Straße zu gehen. Irgendwie kann ich das sogar verstehen: Für sie war ich ja noch ein Kind. Doch ich hatte es nicht nur zu Hause schwer, sondern auch in der Schule. Die Schulleitung hat ein paar Mal meine Mutter angerufen, und in Religion bin ich durchgefallen, nur weil irgendwelche Mädchen den Lehrern erzählt haben, dass ich mir dieses Geschrei anhöre. Man drohte mir sogar, dass ich von der Schule fliegen könnte.

    Auf der Straße wurde ich angestarrt und beschimpft. Unsere Nachbarn behaupteten, sie würden sich vor der lauten Musik in unserem Haus fürchten. Ich befand mich mit den meisten Menschen meiner Umgebung im Krieg.

    Obwohl ich mich immer schon älter gefühlt hatte, als ich in Wirklichkeit war, waren alle um mich herum der Meinung, ich wäre noch ein Kind und würde dieser Musik noch entwachsen. So fing ich an, mich von allen abzusondern. Als ich dann noch in die Pubertät kam, half das auch nicht gerade. Meine Musik wurde so zu meiner einzigen Freundin.

    2011 begann der syrische Bürgerkrieg. Alle waren völlig verloren, verängstigt und durcheinander. Die Leute fingen an, innerhalb Syriens umzuziehen, irgendwohin, wo es sicherer war.

    Wir sind viel in Aleppo umgezogen. Zwischendurch wohnten wir in noch schlimmeren, noch konservativeren Gegenden, wo man nicht einmal “normale” Musik hören durfte. Ich konnte meine Musik immer nur heimlich hören.  2013 zogen wir wieder zurück in unsere alte Wohnung, obwohl es dort nicht sicher war. Wir dachten eben, wir hätten keine andere Wahl. Inzwischen war ich dreizehn, und wenn ich mir Band-Shirts oder etwas Punkiges kaufen wollte, musste ich irgendwelche geheimen Underground-Läden aufsuchen. Die Leute waren mehr als paranoid bei allem, das nicht der syrischen Kultur entsprach.

    BU: Layas Zuhause in Aleppo

    2014 kam ich in die Türkei, wo es auch nicht viel besser wurde. Unsere Lebensbedingungen waren wirklich schrecklich, und ich war viel auf mich allein gestellt, weil meine Mutter in Syrien noch irgendwelche Sachen zu erledigen hatte. Dabei war ich doch bloß ein Teenager. Die Musik hat mir in dieser schlimmen Zeiten sehr geholfen.

    Doch ich hatte, als ich Syrien verließ, beschlossen, dass ich nie wieder so einsam sein wollte. So lernte ich, die Tatsache zu verbergen, dass ich ein Metalhead bin, weil ich Freunde brauchte und Angst vor Zurückweisung hatte.

    Als  meine Mutter 2015 nachkam, beschlossen wir, nach Schweden zu reisen, wo mein Bruder lebte.

    Es war das schrecklichste Erlebnis meines Lebens. Wir fielen dreimal ins Wasser und ich sah andere Leute, auch Kinder, ertrinken. Ich trug mein Metallica-Shirt, das, ich erinnere mich, in der Türkei nur schwer zu bekommen war.

    In Schweden war es leichter, die Musik zu hören, die mir gefiel, und dennoch erfuhr ich viel Ablehnung von Seiten der arabischen Community.

    2016 wurden wir zurück nach Deutschland geschickt, wo wir zuerst erfasst worden waren. Deshalb mussten wir nun hier leben. In Berlin lernte ich endlich, ich selbst zu sein, ohne mich darum zu sorgen, was andere dachten. Ich lernte auch, für mich selbst einzustehen.

    Hier in Berlin habe ich auch Avenged Sevenfold und Disturbed live erlebt. Es war eine der schönsten Erfahrungen meines Lebens, und ich habe mich wie zu Hause gefühlt.

    BU: Laya auf ihrem ersten Metal-Konzert in Berlin

    Zum Schluss wollte ich eigentlich nur sagen, dass ich nichts gegen irgendwelche Religion oder gegen die Kultur der andern habe. Ich wünsche mir bloß, dass die Leute akzeptieren, dass Gott uns alle unterschiedlich geschaffen hat – nicht damit wir uns gegenseitig verurteilen, sondern damit wir einander vervollständigen.

    Ich möchte, dass die Leute Metal so behandeln wie jede andere Musikrichtung auch. Ich begreife nicht, wie man Musik über Aussehen, Sex, Geld und Drogen tolerieren kann, aber dann Metal ablehnt, bloß weil dort die Gefühle auf eine andere Weise zum Ausdruck kommen.

    *Name geändert. Übersetzerin: Josefine Haubold

    Update August 2018: Great news! Laya’s story was re-published in the international metal music magazine Revolver, with beautiful illustrations by Batman illustrator Becky Cloonan. Laya’s story went out to 100,000 readers in print, but you can also check it out online, with illustrations, on Revolver’s website.

    Dieser Artikel ist Teil des GSBTB Open City Projekts, das unterstützt wird von: